Heidelberg: "Schwere häusliche Gewalt fällt nicht vom Himmel"
Heidelberg. (lex) Harald Dreßing (60) ist Leiter der Forensischen Psychiatrie am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Im Gespräch mit der RNZ erläutert er allgemeine Hintergründe zum Thema häusliche Gewalt.
Herr Dreßing, die konkreten Umstände der Tat in Kirchheim kennen Sie nicht. Aber wie verbreitet ist allgemein das Problem häusliche Gewalt?
Sehr verbreitet. Häusliche Gewalt ist in allen sozialen Schichten anzutreffen. Und das Dunkelfeld ist deutlich höher als tatsächliche Taten, die bei der Polizei unter leichter oder schwerer Körperverletzung angezeigt sind. Studien zeigen, dass etwa jede vierte Frau in ihrem Leben zumindest einmal von einem Lebenspartner körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfährt. Etwa zehn Prozent der Frauen in Deutschland erleben schwerwiegende und wiederholte Gewalt in Beziehungen.
Die Gewalt geht typischerweise vom Mann aus?
In den meisten Fällen, ja. Sie richtet sich meist gegen die Partnerin, manchmal auch gegen die Kinder. Und noch einmal häufiger wird häusliche Gewalt, wenn es zu Trennungssituationen kommt. Dann findet sich auch oft das Problem von Stalking - also von psychischer Gewalt. Der Partner, der verlassen wurde und sich damit nicht abfindet, sucht immer wieder den Kontakt - und dabei kann es dann auch zu körperlicher Gewalt kommen.
Steckt da ein psychisches Erkrankungsbild dahinter?
Solche Phänomene haben in aller Regel nichts mit einer psychischen Erkrankung zu tun. Sondern das sind Menschen, die sich eskalierend gewalttätig verhalten - wenn man so will als Kurzschlussreaktion auf die Stresssituation. Nun überschreiten sie übliche moralische Schranken und handeln nach dem Motto: Wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie auch kein anderer haben!
Das heißt, der Täter muss im Vorfeld noch nicht einmal als gewalttätig aufgefallen sein?
Das muss er nicht. Aber häufig hat eine Gewalteskalation ja eine Vorgeschichte. Schwere häusliche Gewalt fällt in aller Regel nicht vom Himmel. Der körperlichen Gewalt gehen meist psychische oder verbale Auseinandersetzungen voraus.
Gibt es Hinweise auf Gewalt in einer Ehe, Alarmzeichen, die Nachbarn oder Verwandten auffallen könnten?
Anzeichen gibt es, ja. Wenn öfter heftig gestritten wird, dann dürfte das auch mal nach außen dringen. Und natürlich offensichtliche Verletzungen: blaue Flecken, ein Veilchen. Aber meist findet die Gewalt ja hinter verschlossenen Türen statt, im Verborgenen. Sie ist also eher schwer zu erkennen.
Sie sagen, die Dunkelziffer der Betroffenen ist hoch. Wieso holen sich Frauen keine Hilfe?
Überwiegend aus Scham. Sie trauen sich nicht, sich Freunden oder gar der Polizei anzuvertrauen. Es gibt aber auch Frauenhäuser, die helfen, oder psychosozialen Beratungsstellen.
Inwiefern muss denn die betroffene Frau Beweise für Gewalt liefern, wenn sie zur Polizei geht?
Bei Stalking lässt sich eine Kontaktsperre erreichen, wenn die Frau glaubhaft machen kann, dass sie verfolgt oder bedroht wird. Schwierig ist es immer, wenn Kinder mit im Spiel sind, weil das Umgangsrecht des Vaters erst mit richterlichem Beschluss aufgehoben werden kann. Und dafür braucht es konkrete Beweise einer Gefährdung.