Urteil in Mannheim: Bewährungsstrafe für ehemalige Rathaus-Angestellte
Von Alexander Albrecht
Mannheim. Niedergeschlagen sitzt die 62-Jährige am Montagmittag neben ihrem Anwalt, immer wieder wischt sie sich die Tränen aus den Augen. "Es tut mir wahnsinnig leid", seufzt die ehemalige Verwaltungsangestellte im Amtsgericht und entschuldigt sich bei Kollegen und ihrer Familie. Richterin Gabriele Schöpf nimmt der Angeklagten die Reue ab und verurteilt sie wegen Untreue in 439 minder schweren Fällen und einem Gesamtschaden von rund 83.500 Euro zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird.
Das Motiv bleibt weitgehend im Dunkeln, da die Frau unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagt. Das Gericht gibt damit einem Antrag von Verteidiger Stefan Moos statt, der "schutzwürdige Interessen" seiner Mandantin ins Feld führt. Nach Angaben eines geladenen Kripobeamten soll ein Teil des Geldes an die Enkelkinder gegangen sein, wie die Angeklagte bei ihren polizeilichen Vernehmungen erklärt habe.
36 Jahre lang hat die Frau bei der Stadt Mannheim gearbeitet, davon die meiste Zeit im Fachbereich 50 "Arbeit und Soziales". Zuletzt war sie im Rathaus Sachbearbeiterin in der Unterabteilung "Hilfen für Asylbewerber". Frühere Kollegen beschreiben die Angestellte als zuverlässig. Bis im Frühjahr 2016 Unregelmäßigkeiten ans Licht kamen. Das Rechnungsprüfungsamt stellte bei Stichproben fest, dass hinsichtlich zweier Abhebungen am städtischen Geldautomaten die erforderlichen Unterlagen fehlten.
Bei den umfangreichen Ermittlungen ohne Zeugen konnten ein Hackerangriff und ein EDV-Fehler ausgeschlossen werden. Dafür geriet die heute 62-Jährige nach Prüfung von Computerdaten und Akten unter Verdacht. Im Mai 2016 erstatte die Stadt Mannheim Anzeige gegen die Sachbearbeiterin und kündigte ihr fristlos. Schritt für Schritt wurde das Ausmaß des Betrugs deutlich.
Die Hintergründe: Bis zu einer Gesetzesänderung im Juni vor zwei Jahren bekamen Asylbewerber ihre Bargeldleistungen im Fachbereich 50 am hauseigenen Geldautomaten ausgezahlt. Laut Staatsanwaltschaft und Stadt soll die Angeklagte von Mai 2012 bis April 2016 in den 439 Fällen niedrigere Beträge auf die Geldkarten gebucht haben, als den Betroffenen zustanden. Wenn die Empfänger sich beschwerten, habe die Frau eine zweite Zahlkarte mit der richtigen Summe ausgestellt und das mit der ersten erlangte Geld in die eigene Tasche gesteckt. Die Beträge, um die sie nicht die Betroffenen, sondern die Stadt betrog, lagen zwischen 40 und 496 Euro.
Dabei machte sich die Sachbearbeiterin den Umstand zunutze, dass es für die Daten der Asylbewerber und die Auszahlungen jeweils ein Programm gab - ohne Schnittstelle. Die Angestellte verschleierte die Falschbuchungen, indem sie die Leistungen unbeteiligten Empfängern aus anderen Fachbereichen zuschrieb. Rund neun Monate lang bestritt die Sachbearbeiterin die Vorwürfe. Reichte sogar ihrerseits eine Anzeige gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft ein und beschuldigte damit Kollegen. Als "Beweis" legten ihre Anwälte eine Krankheitsbescheinigung vor, wonach sie an einem der Tage mit einer dubiosen Buchung gar nicht im Dienst gewesen sei. Wie der Kripobeamte aussagt, habe der Mediziner jedoch später eingeräumt, das Attest auf Wunsch der Frau ausgestellt zu haben, weil sie sonst "Probleme bei der Arbeit" bekommen hätte.
Unter dem Eindruck des harten Knastalltags während der vierwöchigen Untersuchungshaft im Jahr 2017 gestand sie schließlich den Betrug. Und zahlte nach ihrer Entlassung die 83.500 Euro an die Stadt zurück. Mit ihrem Gatten, der von den Umtrieben seiner Frau offenbar nichts mitbekam, zog sie dafür in eine kleinere Wohnung. Das Paar verkaufte das Auto und lieh sich Geld. Durch das Schuldeingeständnis wurde die Klage der Angestellten gegen ihre fristlose Kündigung hinfällig.
Staatsanwältin Alyona Kritter sieht in der nicht vorbestraften Angeklagten eine von hoher krimineller Energie getriebene Frau und fordert eine zweijährige Bewährungsstrafe. Moos stellt das Strafmaß dagegen in das Ermessen des Gerichts.
Richterin Schöpf kritisiert bei der Urteilsverkündung mangelnde Kontrollmechanismen im Rathaus. "Man hat es ihr doch recht leicht gemacht", sagt sie. Tatsächlich hat eine Mitarbeiterin des Rechnungsprüfungsamts zuvor im Zeugenstand eingestanden, dass die Prüfungen nicht in den gebotenen Intervallen erfolgt seien. Der Gesamtschaden ist aus Sicht der Richterin keiner, "der einen bei Wirtschaftsdelikten vom Stuhl fallen lässt". Staatsanwältin Kritter will keine Rechtsmittel einlegen. Und auch Verteidiger Moos wird die Entscheidung wohl nicht anfechten. In diesem Fall wäre das Urteil rechtskräftig.