Bad Rappenau: Maultaschen-Malheur mit Dahinschmelz
Von Armin Guzy
Bad Rappenau. Zumindest für eine ist es ein Abend zum Ko ..., und das eher spärliche Publikum hat am Ende Erbarmen und fordert keine Zugabe. Was es nach dem Auftritt der vier gleichermaßen virtuosen wie charmanten Saxofon-Blondinen von "Sistergold" allerdings erkennbar gerne tun würde. Alleine der Umstand, dass Tenorsaxofonistin Sigrun Krüger von einer Übelkeitsattacke heimgesucht wird und eilends von der Bühne stürmte, hält die Zuhörer später davon ab, ein paar Extra-Stücke herbeizuklatschen.
Zweifellos hätten die vier Damen auf diese Art Premiere im Kurhaus gerne verzichtet - und hätten ebenso zweifellos auch ohne dieses Malheur einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Vom ersten Stück an Spielfreude, Entertainerinnen-Qualitäten und der unmittelbare Eindruck: "Die können was." Das fesselt sofort und steigert sich bei Jazz, Rock und Funk, bei Ragtime, Swing, Klassik und Klezmer immer weiter.
Sicher: Stücke, die jeder kennt - "Bei mir biste scheen", "See you later", "Take five", "Ain’t she sweet", "When I’m 64" - garantieren, dass das (vorwiegend ältere) Publikum bei Mitklatsch-Laune bleibt und nicht mit allzu avantgardistischen Klängen überfordert wird. Aber was das standardbesetzte Sax-Quartett aus diesen Klassikern, den persönlichen Lieblingsstücken der Musikerinnen, durch Interpretation und finger- wie lippenfertige Improvisation, durch Witz, Charme und nie deplatziert wirkende Show-Elemente macht, ist so hörens- wie sehenswert und geht über rein niveauvolles Nachspielen deutlich hinaus. Populär, ja, aber nie banal.
Selbst an ein Arrangement des "Einzugs der Königin von Saba", von Händel komponiert, als das Saxofon noch gar nicht erfunden war, wagen sich die vier Damen. Und tatsächlich sind Streicher zu hören, wo doch nur Metall auf der Bühne zu sehen ist. Später erfüllt auch Meeresrauschen den Saal, keckern Möwen, dröhnt das Baritonsaxofon von Kerstin Röhn wie ein Schiffsnebelhorn. Oder auch mal wie die Bassdrum eines Schlagzeugs.
Dazwischen Lehrstunden im Charleston, eine Stepptanzeinlage der quirligen Altsaxofonistin, musikalische Ausflüge nach Kuba und Spanien und eine Nummer, in der vier Frauen artistisch, weil gemeinsam, auf zwei Saxofone spielen. Oder sich spielerisch die Töne zuwerfen, sie mit den Schalltrichtern auffangen und in neuer Tonlage weiterpassen, als wär’s tonales Basketball. Sich herauszufordern wie zwei Stiere, Auge in Auge, die Saxofone wie Hörner drohend zum Duell gesenkt, auch das gehört zum nie langweiligen Show-Repertoire.
Das Alt-Sax führt die Melodie, motzig, rotzig, dreckig grätschen die Soli von Sopransaxofonistin Inken Röhrs dazwischen, die dabei auch mal auf einem Stuhl in den Zuschauerreihen balanciert. Mal schmatzend und röhrend, oder jammernd und seufzend beim Klezmer, mal herzergreifend warmtönend wie beim Einstieg in den zweiten Teil des Abends, der im Kleinen Schwarzen und mit beleuchteten Schalltrichtern im Schummerlicht beginnt: Das Quartett knallt den Zuhörern trotz der populären Melodien die gesamte tonale Bandbreite seiner Instrumente in die Ohren - und bekommt dafür reichlich Zwischenapplaus.
Von der Größe her abgestuft wie die Daltons und mit ebenso abgestuften Instrumenten und deren Klangfarben, wirkt das Quartett doch in jedem Moment wie eine untrennbare Einheit - bis eben zum Malheur mit dem verdorbenen Magen. Und jetzt? Weitermachen? Als Trio, als Duo? Den drei verbliebenen Damen ist deutlich anzumerken, dass das keine Option ist: Gemeinsam oder gar nicht! Die Minuten ziehen sich. Ist das Konzert vorzeitig beendet?
"Es waren wohl die Maultaschen", entschuldigt Altsaxofonistin Elisabeth Flämig ihre mit der Hand vor dem Mund entschwundene Kollegin, die dann aber doch wieder zurückkehrt, zu ihrem Instrument greift und das Konzert zu Ende bringt - in neuer Garderobe und zumeist im Sitzen. Krüger leidet bei jedem weiteren Stück am atemintensiven Holzblasinstrument, das ist deutlich zu sehen. Aber nie zu hören. Ein Profi, keine Diva. Chapeau!
"Wir werden Bad Rappenau in jedem Fall in Erinnerung behalten", versichert Flämig nach einem langen Schlussapplaus den Zuhörern lachend. Vielleicht kommen sie ja sogar wieder, verzichten auf die Maultaschen vor dem Auftritt und spielen dann vor ausverkauftem Haus im Großen Saal. Verdient hätten sie’s.