St. Leon-Rot: Massive Kritik an "alternativer" Stromtrasse
St. Leon-Rot. (seb) Es ist eigentlich nur eine „hilfsweise Alternativenprüfung“, aber trotzdem stehen aktuell „die Chancen 50:50“, dass eine weitere 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung dicht am St. Leoner See vorbei nach Süden über die Gemarkung St. Leon-Rot und auch durch den Lußhardtwald führen wird. Darüber informierten Maria Dehmer und Julia Preuss von Transnet BW in der jüngsten Gemeinderatssitzung. Das Vorhaben stieß auf massive Kritik, zumal kurz zuvor der geplante Bau eines Umspannwerks thematisiert worden war.
Die beiden Referentinnen waren auf die Ablehnung gefasst, nicht nur, weil sie bereits letztes Jahr im Rat vorsprachen, als es um die Verstärkung der Kapazität der vorhandenen Stromleitung am St. Leoner See ging („Ultranet“). Sie räumten offen ein, dass ihnen die ursprünglich im Rahmen der Netzverstärkung im Zug der Energiewende geplante Trasse am liebsten wäre. Die führt allerdings durchs Vogelschutzgebiet in der Wagbachniederung westlich von St. Leon-Rot, zwischen Neulußheim und Waghäusel. Dort verlaufen bereits drei Stromleitungen: Die waren laut Julia Preuss lange vor den schützenswerten Tieren da.
Vorhandene Leitungen aufzurüsten, wäre laut Maria Dehmer natürlich weniger aufwendig und zeitintensiv als ein bis zu 26 Kilometer langer „Umweg“ mit dem Neubau von Masten unter anderem in St. Leon-Rot. Ein weiteres Argument, von den Alternativen Abstand zu nehmen, ist der Eingriff, den der Abbau einer der Stromleitungen im Zug der Neutrassierung für die Wagbachniederung bedeutet: Der wäre mindestens ebenso groß wie die Aufrüstung der Leitung.
„Die umweltfachliche Prüfung hat oberste Priorität“, so Dehmer. Rechtlich sei man zu dieser Alternativenprüfung gezwungen, führe sie parallel zur Untersuchung der nötigen Eingriffe in die Wagbachniederung durch und benötige jede Hilfe, die St. Leon-Rot bieten könne.
Die Gemeinde habe selbstverständlich das Recht, zum Projekt Stellung zu nehmen, legte sie in ihrer Schilderung des gesamten Verfahrens dar. Dazu sei auch noch Zeit, voraussichtlich wird erst Ende nächsten Jahres der Antrag für die Netzverstärkung eingereicht.
Um den Eingriff in den St. Leon-Roter Wald so gering wie möglich zu halten, ist eine „Überspannung“ möglich, ähnlich wie bereits jetzt am St. Leoner See. Dann sind die Masten weitaus höher als die Bäume, mindestens 60, wahrscheinlich eher 100 Meter, und unter ihnen noch Platz für Pflanzen. Für die Errichtung wäre dann sicher noch ein Eingriff nötig, er wäre aber weniger schwerwiegend, als wenn für niedrigere Masten Lichtungen geschaffen werden müssten.
Transnet BW ist sich auch des Wasserschutzgebiets der Gemeinde, der vorhandenen und des neu geplanten Brunnens bewusst. Und der zehn Windkraftanlagen, die die Firma „Wirsol Windpark Lußhardt“ dort, südlich von St. Leon, errichten will. Man könne mit der Firma zusammenarbeiten und deren Untersuchungsdaten womöglich nutzen, so Dehmer, um den Schaden am Wald zu minimieren.
Falls die Fachleute nachweisen könnten, so Preuss, dass das Naturschutzgebiet Wagbachniederung durch die Leitungsverstärkung nur gering beeinträchtigt wird, lösten sich alle Sorgen rund um die Alternativenprüfung in Luft auf. Dann gäben nämlich der Aufwand des großen Umwegs, der Schutz des Lußhardtwalds und der der Menschen in St. Leon-Rot den Ausschlag.
Darauf hofften die Gemeinderäte einmütig, auch wenn man den Schutzstatus der Wagbachniederung anerkannte. „Der Mensch sollte im Vordergrund stehen“, argumentierte Siegfried Köck (Freie Wähler) dafür, die ohnehin bereits im Schutzgebiet verlaufenden Leitungen weiter zu nutzen, anstatt Naherholungsgebiete in St. Leon-Rot noch zu beeinträchtigen. Als „nicht zumutbar“ betrachtete Udo Back (CDU) diese Trassenalternative. St. Leon-Rot sei bereits hoch belastet, meinte er mit Blick unter anderem auf die Autobahnen und den geplanten Windpark.
Wenn sowohl Abbau als auch Ertüchtigung einer Leitung in der Wagbachniederung einen Eingriff bedeuteten, sollte man sich den kilometerlangen Umweg durch St. Leon-Rot sparen, meinte Michael Herling (FDP). Für Rouven Dittmann (Junge Liste) war ein Sachverhalt entscheidend: dass die Vögel sich trotz der drei Stromleitungen in der Wagbachniederung niederließen. „Das bedeutet: Das ist die umweltverträglichste Variante.“
Das „große Konfliktfeld“ skizzierte Norbert Knopf (Grüne): Wenn hier im Süden nicht genug Strom regenerativ erzeugt werde, müsse er über diese Höchstspannungsleitungen hergeschafft werden. Allerdings müsse man nach dem geringstmöglichen Eingriff suchen, so Knopf, das sei für alle Seiten bei der bereits von Leitungen durchzogenen Wagbachniederung der Fall. Das meinte auch Prof. Wolfgang Werner (SPD): Man müsse das nutzen, was bereits da sei. Auch zweifelte er die Korrektheit der Karten von Transnet BW an: Das Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet im Lußhardtwald reiche weiter, die jetzt vorgestellte Stromtrasse spare es nicht aus.
Abschließend meinte auch Bürgermeister Dr. Alexander Eger mit „entsetztem Blick“ auf Autobahnausbau, Windkraftanlagen, diese Stromleitung und andere Maßnahmen, über die St. Leon-Rot kaum Kontrolle habe: „Unsere Gemeinde droht sich in ein 2500-Hektar-Gewerbegebiet zu verwandeln.“