Die Szenen erinnern an den Sturm auf das US-Kapitol: Radikale Anhänger des abgewählten brasilianischen Präsidenten dringen gewaltsam ins Regierungsgebäude ein. Die Polizei bringt die Lage nur langsam unter Kontrolle.Nach mehreren Stunden haben Sicherheitskräfte in Brasilien den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto in Brasília wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Spezialkräfte der Militärpolizei und der Präsidentengarde räumten die von radikalen Anhängern des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro gestürmten Gebäude, wie die staatliche Agência Brasil am Sonntag berichtete. Etwa 200 Verdächtige wurden bisher festgenommen. Die Sicherheitskräfte suchten weiter nach Beteiligten der Angriffe und würden die Festnahmen fortsetzen, sagte Justizminister Flavio Dino gestern Abend (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz. Im Fernsehen war zu sehen, wie Polizisten mehrere Männer und Frauen mit auf den Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.Am Sonntagnachmittag (Ortszeit) hatten aufgebrachte Anhänger des abgewählten Bolsonaro den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto gestürmt. Die Polizei brachte die Lage erst nach Stunden wieder unter Kontrolle. Die Militärpolizei setzte gepanzerte Fahrzeuge ein, über dem Regierungsviertel kreisten Hubschrauber. Die Bilder weckten Erinnerungen an den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021. Die Proteste richten sich gegen den Wahlsieg des seit Jahresanfang amtierenden linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Er war zum Zeitpunkt der Attacke nicht in Brasília. Er war in die Stadt Araraquara im Bundesstaat São Paulo gereist, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren. Bereits zuvor hatte er die Ausschreitungen scharf kritisiert und angeordnet, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt. Der Sicherheitschef der Stadt, Anderson Torres, ehemals Justizminister unter Bolsonaro, wurde entlassen.Nach dem Angriff besichtigte Lula nun seinen beschädigten Amtssitz. Gestern Abend (Ortszeit) inspizierte der 77-Jährige die Schäden im Palácio do Planalto in der brasilianischen Hauptstadt, wie das Nachrichtenportal G1 berichtete. Er besuchte auch den Sitz des Obersten Gerichtshofs und traf sich mit der vorsitzenden Richterin Rosa Weber.Hunderte Demonstranten waren auf das Gelände des Kongresses vorgedrungen und stiegen über eine Rampe auf das Dach des Gebäudes. Wie "New York Times" unter Berufung auf Augenzeugen berichtete, schlug eine Gruppe der Demonstranten Scheiben ein und drang in die Eingangshalle vorIm Inneren des Regierungsgebäudes warfen sie Möbel um und plünderten Gegenstände. Auf Videos war zu sehen, wie Menschen im Plenarsaal des Senats auf Tische und Bänke kletterten. Sie sollen gerufen haben, dass sie sich ihr Land zurückholen und sich nicht aufhalten lassen würden. Laut "New York Times" war die Polizei zu diesem Zeitpunkt zahlenmäßig unterlegen und reagierte mit Gummigeschossen, Pfefferspray und Tränengas. Auch zwei Hubschrauber waren im Einsatz.Nach dem Angriff auf den Kongress zogen Bolsonaro-Anhänger auch zum Obersten Gerichtshof. Sie hätten dort Scheiben eingeworfen und seien in die Lobby vorgedrungen, berichtete das Nachrichtenportal G1. Die Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den rechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützern deshalb verachtet. Später zog die Menge auch zum Regierungssitz Palácio do Planalto. Männer mit Brasilienflaggen liefen durch Flure und Büros, wie im Fernsehsender TV Globo zu sehen war.Die Militärpolizei setzte gepanzerte Fahrzeuge ein, über dem Regierungsviertel kreisten Hubschrauber. Im Fernsehen war zu sehen, wie Bolsonaro-Anhänger einen berittenen Polizisten von seinem Pferd zogen und auf ihn einschlugen.Lula nennt Eindringlinge "faschistische Vandalen"Lula verurteilte den Angriff der radikalen Anhänger seines Vorgängers scharf. "Alle Vandalen werden gefunden und bestraft", sagte der Staatschef am Sonntag. "Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat", erklärte er. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge nannte er die Eindringlinge "faschistisch". "Dieser Völkermörder ... ermutigt dies über soziale Medien von Miami aus", sagte er bei einem Besuch des Bundesstaates Sao Paulo zudem über seinen Vorgänger. Es gebe mehrere Reden von Bolsonaro, in denen er zu solchen Aktionen anspornen würde.Bolsonaro selbst wies die Vorwürfe gegen ihn zurück und verurteilte die Angriffe (hier lesen Sie mehr zu Bolsonaros Reaktion). Auch Bolsonaros Partei äußerte sich: "Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein", sagte der Vorsitzende der Liberalen Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem am Sonntag veröffentlichten Video. "Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten aufs Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken." Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut. Beweise dafür legte er allerdings nie vor. Auch nach der Abstimmung erkannte er seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhänger blockierten immer wieder Landstraßen, kampierten vor Kasernen und forderten eine Militärintervention zugunsten des abgewählten Staatschefs.Senatspräsident: Situation unter Kontrolle bringenSenatspräsident Rodrigo Pacheco schrieb zu den Unruhen auf Twitter: "Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen." Weiter teilte er mit: "Ich habe mit dem Gouverneur des Bundesdistrikts, Ibaneis Rocha, telefoniert, mit dem ich in ständigem Kontakt stehe. Der Gouverneur teilte mir mit, dass der gesamte Polizeiapparat sich darauf konzentriert, die Situation unter Kontrolle zu bringen.""Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen", schrieb der Gouverneur Ibaneis Rocha, auf Twitter. "Ich bin in Brasília, um die Demonstrationen zu beobachten und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen im Regierungsviertel einzudämmen."Szenen wie in Washington 2021Die Szenen erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Januar 2021. Damals hatten Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.US-Präsident Joe Biden nannte die Vorfälle bei einem Besuch im Bundesstaat Texas nach Angaben seiner Sprecherin "ungeheuerlich". "Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich", erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan. Auch die EU veurteilte die Angriffe.Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT) erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in Brasília. "Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im Nationalkongress", schrieb Gleisi Hoffmann auf Twitter. "Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert."