Fried – Blick aus Berlin: CDU und AfD machen in Thüringen gemeinsame Sache – eine Kaskade der Unaufrichtigkeit
Die Brandmauer zur AfD schrumpft auf CDU-Seite – in Thüringen stecken beide Parteien nun unter einer Decke. Warum die Union das eigentlich nicht wollen kann, erklärt Nico Fried diese Woche in seiner Kolumne.
Ausgerechnet an dem Tag, an dem der CDU-Politiker Mario Voigt im Thüringer Landtag ein politiktaktisches Spiel auf die Spitze getrieben hatte, sagte er den bemerkenswerten Satz: "Die Leute haben die Schnauze voll von diesen politiktaktischen Spielen". Das muss man sich erst mal trauen, nachdem man sich als CDU-Chef mit der rechtsextremen AfD eingelassen hat, um die Landesregierung auszutricksen; nachdem man die Senkung der Grunderwerbsteuer für wichtiger erachtet hat als die Abstandswahrung zu Björn Höcke; nachdem man demokratische Regeln ausgereizt hat, um die gemeinsame Sache mit einer Partei zu rechtfertigen, die Demokratie am liebsten mit dem Ziel nutzt, sie lächerlich zu machen.
Die thüringische CDU ist für die Bundespartei ein steter Quell von Zumutungen. Die Wahl eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten mithilfe der AfD im Februar 2020 kostete die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer später ihr Amt. Kramp-Karrenbauer versuchte damals, in Thüringen den Sündenfall rückgängig zu machen. Die Parteifreunde ließen sie auflaufen.
Man kann deshalb zumindest verstehen, dass ihr Nach-Nachfolger einen anderen Weg einschlug. Friedrich Merz erteilte der Thüringer CDU schon vor der Abstimmung die Absolution. Anders als Kramp-Karrenbauer fuhr Merz nicht nach Erfurt, er blieb weg. Nach all den Diskussionen um seine Position zur AfD kann niemand ernsthaft glauben, dass Merz das Vorhaben der Thüringer CDU und die folgenden Debatten wirklich willkommen waren. Weil er aber am Beispiel von AKK gelernt hatte, wie man von den Parteifreunden in Erfurt vorgeführt werden kann, wenn man sich einmischt, hat Merz einfach so getan, als gebe es gar keinen Grund, sich einzumischen.
Union will Streit vor dem Wahlkampf in Bayern vermeiden
Aus Sorge, an den Thüringer Ereignissen Schaden zu nehmen, verhielt sich Merz gegenüber dem AfD-Problem ähnlich wie der Breitmaulfrosch, der einem Storch begegnet. Fragt der Breitmaulfrosch den Storch, was er am liebsten esse. Antwortet der Storch: Breitmaulfrösche. Worauf der Breitmaulfrosch die Lippen spitzt und antwortet: "Dü gübt's hür nücht."
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CSU-Chef Markus Söder unterstützte Merz, wenn auch auf niedrigster Stufe: "Ich glaube, da hat er recht." Merz hatte bei Söder einen Gefallen gut, weil er dessen Umgang mit dem Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger als "bravourös" gelobt hatte. Söder lässt in Bayern gerade Franz Josef Strauß mit dem Satz plakatieren: "Wir wollen mit rechtsradikalen Narren und Extremisten nichts zu tun haben." Es ist schlicht unvorstellbar, dass Söder für richtig hält, was die Thüringer CDU im Erfurter Landtag abzog. Aber auch der bayerische Wahlkämpfer wollte vor allem neuen Streit in der Union vermeiden – den gübt's hür nücht.
So tat sich Mario Voigt mit der AfD zusammen, Merz schützte Voigt, Söder schützte Merz, eine Kaskade der Unaufrichtigkeit. Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann argumentierten so: Man mache sich bei Anträgen in den Parlamenten nicht von anderen Fraktionen abhängig. Das klingt demokratietheoretisch plausibel und ist doch realpolitisch naiv. Denn natürlich gilt es immer abzuwägen, ob die Durchsetzung eines Zieles den Preis wert ist, den man dafür entrichtet, zum Beispiel finanziell. Es gilt aber auch für die politischen Folgen. Ansonsten wird die Abhängigkeit, die man angeblich vermeidet, ersetzt durch Beliebigkeit, die andere aufwertet. In diesem Fall die AfD.
Das kann die Union nicht wollen.