Zum Tod von Franz Beckenbauer: Weltmeister Augenthaler: "Franz hat sich seine Leichtigkeit hart erarbeiten müssen"
Er war Teamkamerad, Spieler und Assistenztrainer von Franz Beckenbauer. Im stern-Interview erzählt Klaus Augenthaler von Beckenbauers Überredungskünsten am Telefon, dem WM-Triumph 1990 und gemeinsamen Schafskopf-Abenden.
Herr Augenthaler, Sie sind so etwas wie ein Weltmeister wider Willen. Franz Beckenbauer hatte Sie 1990 überreden müssen, zurück in die Nationalmannschaft zu kommen, aus der Sie sich drei Jahre zuvor verabschiedet hatten. Wie hat der Teamchef Sie umstimmen können?
Es gab zwei Telefonate. Im ersten sagte er: "Klaus, ich hätte dich gern dabei in Italien. Du bist mein Abwehrchef. Wir wollen bei der WM richtig was reißen." Ich sagte: "Franz, das geht nicht. Ich hab Leistenprobleme, die Achillessehnen tun mir weh, und außerdem habe ich ein neugeborenes Kind zu Hause. Ich pack das nicht." Er darauf: "Das kriegen wir schon hin. Wenn du Schmerzen hast, machst du Pause. Dann spielt halt ein anderer."
Das hat Sie nicht überzeugt?
Na ja, Nationalmannschaft: schön und gut. Aber mein Gehalt hat damals der FC Bayern bezahlt. Ich wollte mit meinen Kräften haushalten und fit sein für die nächste Saison.
Der zweite Anruf brachte offenbar die Wende. Wie machte Beckenbauer das? Mit Druck? Mit Charme?
Franz konnte einem das Gefühl geben, der Größte zu sein. Aber nicht auf so eine platte Art. Er war freundlich, einfühlsam, er hat seine Komplimente geschickt verteilt, und am Ende des Telefonats war die Stimmung so, dass ich gesagt habe: "Ok, ich bin dabei." Du konntest einem Beckenbauer nicht absagen. Das ging einfach nicht.
Als Sie dann zur Nationalmannschaft zurückkehrten: Hatten Sie das Gefühl, dass dieses Team Großes erreichen wird bei der WM – so wie Beckenbauer Ihnen das versprochen hatte?
Ja, da war ein besonderer Spirit zu spüren. Ich hatte ja den direkten Vergleich zur WM 1986 in Mexiko. Da hatten wir zwar auch super Fußballer dabei, aber wir waren keine echte Mannschaft. 1990 dagegen: Niemand hat dem anderen etwas geneidet. Auch Leuten wie Matthäus, Brehme, Völler oder Klinsmann nicht, die bei großen Vereinen wie Inter Mailand oder AS Rom spielten. Es ging nur um die Sache. Um's nächste Spiel, um den nächsten Sieg.
Eine Mannschaft voller Stars. Hat Beckenbauer überhaupt etwas zu tun gehabt als Trainer?
Oh ja, auf jeden Fall. Die Dinge haben beim Franz immer so leicht ausgesehen, so, als würde er nur durchs Leben tanzen. Stimmt aber nicht. Er war ein harter Arbeiter, versessen auf Details. Bei der WM in Italien wussten wir alles über unsere Gegenspieler: Stärken, Schwächen, Schuhgröße, Augenfarbe. Franz wollte den Zufall ausschalten.1986 in Mexiko hatte er es richtig übertrieben mit seinen Teambesprechungen. Da haben wir teilweise zwei Stunden am Stück gehockt und ihm zugehört. Aber eigentlich waren schon nach 20 Minuten nicht mehr aufnahmefähig. In Italien hat er das dann besser dosiert.
Beckenbauer und Sie verbindet eine lange Geschichte: In der Saison 1976/77 trainierten Sie als Nachwuchsspieler bei den Bayern-Profis mit. Beckenbauer war damals schon ein Star, Weltmeister 1974 und auf dem Sprung zu Cosmos New York. Welche Erinnerungen haben Sie an die erste Begegnung?
Ich war ein junger Kerl vom FC Vilshofen und hatte ein dreitägiges Probetraining bei den Bayern. Und plötzlich stehen da diese Legenden mit mir auf dem Rasen. Beckenbauer, Müller, Maier, Hoeneß. Die hatte ich ein paar Wochen zuvor noch im Fernsehen gesehen, gegen Atletico Madrid, im Europapokalfinale der Landesmeister. Ich weiß es noch genau. Das war der Wahnsinn für mich.
Wie ist Beckenbauer mit einem jungen Spieler wie Ihnen umgegangen? Hat er Ihnen auch mal einen Rat gegeben?
Nein, das nicht. Dafür war er nicht der Typ. Aber als Spieler war ein Vorbild. In jedem Training hat sich voll reingehauen, Du hattest nie das Gefühl, dass ihm die Übungen lästig gewesen wären, dass ihm das alles ein paar Nummern zu klein ist. Die Leichtigkeit, die er auf dem Platz ausstrahlte, hatte er sich hart erarbeitet.
Als Sie im Oktober 1977 in der Bundesliga debütierten, war Beckenbauer schon in New York. Bedauern Sie es, dass Sie nie zusammen ein Spiel gemacht haben?
Stopp, nein, ein Spiel gibt es. Irgendein Vorbereitungsspiel in Zürich war das, da wurde ich eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt. Da hat der Franz abgewunken, so nach dem Motto: Was kommt denn da für ein Blinder? Wir lagen 1:3 hinten, und der Franz wollte halt jedes Spiel gewinnen. Wirklich: jedes. Der Gerd Müller war genauso.
Was haben Sie von Beckenbauer gelernt in dem gemeinsamen Jahr bei den Bayern?
Wie man mit Menschen umgeht. Ich habe den Franz beim Autogramme-Schreiben beobachtet: Er hat jedes Mal seinen kompletten Namen ausgeschrieben, ganz fein, ganz akkurat. Da wurde nichts hingeschmiert, und dann schnell ab in die Kabine. Das gab’s bei ihm nicht. Er hat seine Mitmenschen mit Respekt behandelt. Egal, wer da gerade vor ihm stand.
Sie haben Beckenbauer nicht nur als Spieler erlebt, sondern auch als sein Mitarbeiter. Mitte der 1990-er Jahre waren Sie sein Assistenztrainer beim FC Bayern. Wie war Beckenbauer als Chef?
Er hat seinen Leuten vertraut und erwartete von ihnen, dass Sie ihre Meinung sagen. Aus seiner Zeit beim Hamburger SV hatte er Trainingspläne mitgebracht, Ernst Happel hatte sie geschrieben, glaube ich. Franz hat sie mir gezeigt und gefragt, was ich davon halte. "Trainer, wenn wir das durchziehen, ist die Mannschaft in sechs Wochen kaputt", habe ich geantwortet. Damit war das Thema erledigt.
Und abseits des Beruflichen? Ist da auch eine Beziehung gewachsen zwischen Beckenbauer und Ihnen?
Franz war ein Mensch, den man einfach gern an seiner Seite hatte. Das Schönste in meiner Zeit als sein Co-Trainer waren die Schafskopf-Abende. Wenn wir Samstagnachmittag ein Spiel hatten, saßen wir am Freitagabend zusammen, der Franz, der Uli Hoeneß und der Rudi Egerer (langjähriger Busfahrer des FC Bayern, Anm. d. Redaktion) und ich. Dann wurde auch mal ein Bier getrunken, herrlich war das.
Und Beckenbauer hat beim Kartenspiel natürlich immer gewonnen.
Im Gegenteil. Gewonnen haben meist der Rudi oder ich. Ein grausiger Schafskopfspieler war der Franz. Er konnte sehr viel im Leben, aber zum Glück nicht alles.